Der Pfad Evetos

Ort

Der Reisebericht einer Chira von ihrer Reise von Esticha in Richtung der Allianz..

Der Pfad Evetos Teil Eins

Es ist früher Morgen, noch hat das Delvansfeuer die spitzen Zacken des Bergmassivs von Votràyis nicht überstrahlt, als meine Reisekutsche durch das östliche Stadttor fährt. Es geht hinaus auf die Große Straße gen Osten, dem gewaltigen Bergmassiv von Votràyis entgegen, neben Chescea dem bisher höchsten bekannten Gebirge der Welt. Welches das höchste ist, weiß man nicht - hat man es doch niemals vermessen.

Die Reise ist nicht sehr bequem… die Straße ist voller Schlaglöcher, die gar nicht so schnell zugeschüttet werden können, wie sie entstehen, aber wie ich gut weiß, ist die Regierung dabei, gerade die Reichsstraßen zu bauen, wenn auch zuerst jene gen Süden, Richtung Vorovis und Gilgat dran sein wird.

Der Sicherheitsstreifen freien Landes ist schon 20 Vat hinter der Stadtmauer vorbei, dann folgen Büsche und Sträucher, schließlich jedoch taucht die Kutsche in das Halbdunkel des Dschungels ein, der links und rechts viel des wenigen ersten Tageslichtes verschluckt. Kaum 700 Vat hinter den Stadtmauern geht ein ausgetretener Pfad nach links ab, Richtung Norden und ein ziemlich protziges Schild weist auf das Landgut Davals hin - ehemals Psisshars Hof. Der alte Gauner hat sich das doch glatt unter den Nagel gerissen. Nach gut einer halben Stunde geht wiederum ein Pfad nach Norden ab, dieser wirkt jedoch deutlich vielbefahrener. Er führt zu dem Landgütern von Kolar, Anderson und Remeko, diesem komischen Spinner, der recht neu in der Stadt ist.

Dahinter wird es ruhiger und der Dschungel zusehends dichter. Schließlich, gut 2 Evet hinter den Stadtmauern zieht die Kutsche an einem Schild vorbei, das den Bürger des Elurischen hinweist, dass er nunmehr die Stadtmark Estichà verlassen und das Prinzipat Nord-Elùrya betreten hat.

Hier beginnt also das wilde Elùrya… wer weiß, in einigen Jahren mag es eine wertvolle Provinz sein und die Straße könnte bevölkert sein von zahllosen Händlern, die ihre Waren im Überfluß in die reiche, aufblühende Hauptstadt bringen.

Doch noch ist es wenig mehr als von Dschungel bedecktes Land, hin und wieder durchsetzt von kleinen Seen - alles in allem wirklich ein hübsches Land. Es gibt jedoch wirklich noch einige Dörfer - ärmliche Siedlungen mit kaum mehr als einigen ziemlich verdreckten Bauern, die auf die Kutsche jedoch nicht weiter achten, schließlich kommen hin und wieder Händler und Gesandte aus und nach Estichà vorbei.

Als es Abend wird, hält die Kutsche in einem größeren Dorf. Der Kutscher sagt, es heiße „Tamay“ und es gebe eine kleine Gaststätte für durchfahrende Händler, die ganz ordentlich sei. Sauber und gepflegt, wenn auch kein Palast. Aber eine andere Wahl gebe es kaum…

© Willi

Der Pfad Evetos Teil Zwei

Die Reise des nächsten Tages unterscheidet sich nicht sehr von der des vergangenen Tages. Die Zeichen der Zivilisation werden noch weniger, die Straße bleibt holprig, allerdings steigt das Gelände weiter an, da man sich den Bergen von Votràyis nähert. Gegen Abend muß man wohl oder übel ein Lager aufschlagen. An ein Zelt hat man gedacht und so muß man wohl oder übel darin übernachten - am Fuße des Gebirges.

Immer hügeliger und steiniger wird der Untergrund, die Tümpel und Seen weichen aus dem Bild des Dschungels und machen bald einem urtümlichen Bergwald Platz, der auf dem harten Grund wurzelt. Mußte die Kutsche zu Beginn nur ab und zu mal eine Richtung scharf nach Norden oder Süden einschlagen, um einen steileren Hang zu umgehen, so klettert der Pfad mittlerweile in engen Serpentinen die Flanke des höchsten Gebirges der bekannten Welt hinauf - Votràyis!

Die Echsen mühen sich ab, meinen ganzen Trödel den Hang hinaufzuwuchten, besonders in den engen Haarnadelkurven, wenn die Serpentine ihre Richtung ändert, fällt es den Tieren schwer, die Last zu ziehen. Nur langsam geht es voran… entschädigt wird zumindest meine Reisende vom Ausblick: hin und wieder öffnet sich zwischen den Leibern der nur langsam niedriger werdenden Bäumen der Blick auf Elùrya: wie ein grüner Teppich breitet sich der Dschungel, Mehdoras Reich über die Landschaft, alles mit seinem grünen Mantel überdeckend, jegliches Anzeichen irgendeiner Zivilisation verschluckend, denn selbst wenn es Dörfer dort unten gibt, sie sind zu klein, als dass sie ein nennenswertes Loch in den hochstämmigen Urwald reißen könnten.

Hin und wieder steigt jedoch eine vom von den Bergen herabfallenden Wind schnell verwehte Rauchsäule aus dem Dschungel auf: Rodungsfeuer wie man unschwer erraten kann. Ganz in der Ferne, von der diesigen Luft fast verschluckt ragt ein grauer Klotz in den Sichthorizont, der von der feuchten, heißen Luft gesetzt wird: der Felsen von Estichà! Wie kann man nur glauben, dass dies *kein* besonderer Ort ist? Ein solcher Berg, herausragend aus der flachen Küstenebene, aus viel dunklerem Gestein als die nahen Berge?

Weiter zieht die Kutsche ihren Pfad hinauf und mittlerweile ist der Untergrund so steil und unwirtlich, dass nur noch niedrige Kiefern und wenige Pinien auf dem bröckeligen Boden wurzeln. Delvan blickt unerbittlich auf den Steilhang hinab, hat er den Punkt, wo sein Himmelsfeuer senkrecht auf Elùrya hinabblickt, doch schon längt überschritten und steht schon über dem fernen Meer, das jedoch wegen des Dunstes nicht zu sehen ist. Erst als sein Licht schon in der Ferne blasser und schwächer zu werden beginnt, hat die Kutsche einen Punkt erreicht, die den Blick auf das Etappenziel dieses Tages freigibt:

Hoch über der letzten, gewaltigen Steilwand thront breit und mächtig die uralte Zitadelle. Viele Namen hatte sie im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende, und viele Besitzer. Geschichten besagen, sie sei von einer mächtigen Priesterkönigin der Sragon erbaut worden, vor über 4 Jahrtausenden, und verschiedenste Könige und Herrscher, deren Namen keiner mehr kennt, hätten sie ausgebaut. Die titanischen Mauern, in ihrer Breite eine ganze Bergflanke einnehmend, haben trotz ihres Alters nichts von ihrer majestätischen Wucht, ihrer erdrückenden Gravität verloren. Doch je weiter ich mich dem Fuß des Bauwerks nähere, desto mehr erkenne ich, dass die Festung verlassen ist, die Zinnen sind leblos, ein Turm nur noch ein zerfallender Rest, einzelne Zacken der Zinnenmauern haben sich in die Tiefe gestürzt.

Doch… was ist das? Dort, in der Mitte der Festung, wo der Pfad hinführt, weht die Flagge des Elurischen Reiches! In der Tat! Nun, da sich der Pfad den höchsten Punkt erreicht hat und wieder senkrecht nach Osten, zur Brücke führt, erhebt sich eine gewaltige Rampe, die für Riesen gemacht worden sein muß zwischen zwei langgezogenen Schildmauern. Die Rampe führt auf eine wahrhaft erdrückend wirkende Toranlage und über der Toranlage, auf der kleinen Burg, die sie bewacht, weht die Flagge Estichàs und einige Wachen stehen am Tor, die Fackeln für die hereinbrechende Nacht bereits entzündet.

© Willi

Der Pfad Evetos Teil Drei

Meine Kutsche rollt noch lange durch die halb zerfallene Festung. Sie kommt vorbei an hohlen Torbögen, blinden Schießscharten und weggebrochenen Türmen, doch immer wieder tut sich der Blick auf zu intakten Mauerringen, hoch aufragenden Gebäuden und tiefen Schluchten, die scheinbar architektonisch in die Anlage integriert wurden und von halb zerfallenen Brücken überspannt werden. Dann schließlich jedoch führt der Pfad Evetos sich schlängelnd und windend in die Berge von Votràyis hinein, wird schmal wie ein Paß und ist doch stets erstaunlich gut befahrbar, da er breit genug ist für zwei Wägen.

Es ist eigentümlich, in dieser beeindruckenden Bergwelt, in der sich immer neue, noch höhere Häupter von gewaltigen Bergen hinter den schon wuchtig und massig wirkenden Zacken der niedrigeren Gipfel hervorschieben, immer wieder entgegenkommende Händler zu treffen, die den Warenstrom von Estichà in die Allianz aufrecht erhalten. Deutlich ist jedoch an Kleidung und vor allem Rasse zu erkennen, dass es vor allem Händler aus Estichà sind, da diese mehr Bedarf an Waren aus der Allianz haben, als die Hauptstadt an eluryischen Waren - das mag sich allerdings mit der Besiedlung und Erstarkung des Elurischen Reiches ändern. Den ganzen Tag fährt die Kutsche im langsamen Tempo durch das Gebirge, rollt über Pässe und durch Schluchten, doch spüre ich, wie es langsam wieder abwärts geht, gegen frühen Nachmittag ist nämlich der höchste Punkt erreicht und so hat sie gute Hoffnung, gegen Abend bei der Steilwand anzukommen.

Das Himmelsfeuer Delvans wird schon seit einiger Zeit von den hinter der Kutsche liegenden Gipfeln des Votràyis-Massivs verdeckt, als die Kutsche auf eine Serpentine einschwenkt, die einen Hang hinunterführt und ich plötzlich von meinem Fenster aus den freien Blick nach Osten habe: Der Hang fällt steil zu einem Plateau hin ab, das von lockerem Gestein bedeckt und sogar von dem einen oder anderen Baum bewachsen ist, ein Hochplateau, gut 300 Vat werden es vom Fuß des Hanges bis zu seinem Rand sein und sicherlich ein gutes Evet in der Breite. Das Plateau endet abrupt, wie abgeschnitten mit einer unheimlich anmutenden, geraden Kante, scheinbar vom Schwerthieb eines Gottes abgeschlagen, fällt es in unbekannte Tiefen, die sich meinem Blick noch entziehen. An diese Steilkante heran führt jedoch, in der abendlichen Dämmerung unwirklich und noch fremdartiger wirkend, ein silbrig metallisch glänzendes Band. Völlig eben und gerade, von beängstigender Perfektion und Schönheit, erhaben und edel im Dämmerlicht schimmernd stößt die Brücke hier an ihrem Ende auf das Gebirgsmassiv, viele hundert Vat über dem dampfenden, lärmenden Dschungel der Senke treffend. 20 Vat ist sie breit und führt unmittelbar an die Kante des Felsens heran und schließt mit ihr ebenerdig ab. Auf dem Plateau, links und rechts des Weges, sich fast gegenüber stehend, liegen zwei Gasthäuser - die letzten vor der Brücke.

© Willi